Als Lösungsansatz für die serielle Sanierung verfolgen Vorreiter wie die dena das sogenannte Energiesprong-Prinzip: Ganz im Sinne der deutschen Übersetzung „Energiesprung“ sieht das in den Niederlanden entwickelte System vor, Gebäude binnen weniger Wochen auf einen „NetZero“-Standard zu heben. Dieser Standard sieht vor, dass die sanierten Bauten im Jahresmittel so viel erneuerbare Energie erzeugen, wie für den Eigenbetrieb von Heizung, Warmwasser und Strom benötigt wird. Als Mittel zum Zweck setzt das Energiesprong-Prinzip auf hochwertige, standardisierte Lösungen mit seriell vorgefertigten Elementen, bezahlbare Sanierungskosten sowie einen durchgängig digitalisierten Planungs- und Bauprozess.
Die Digitalisierung – ein Muss!
Ohne Digitalisierung ist dieser Prozess nicht machbar, da nur dadurch ein schneller, qualitativ hochwertiger und genauer Planungs- und Bauprozess möglich ist. „Dieser beginnt daher grundsätzlich mit einem 3D-Laserscanning des zu sanierenden Gebäudes“, erläutert Ariane Steffen, Expertin Analysen & Gebäudekonzepte bei der dena. Das 3D-Laserscanning ist notwendig, da jedes Gebäude einzigartig ist und selbst Gebäude eines bestimmten Bautyps im Detail interschiedlich sind. Mit dem digitalen Aufmaß lassen sich alle relevanten Abmessungen eines Bauwerks mit großer Genauigkeit erfassen. Aus den so gewonnenen Daten wird im Anschluss ein BIM-Bestandsmodell generiert. Auf Basis des hierdurch entstehenden digitalen Zwillings des Gebäudebestands erfolgt die digitale Planung des jeweiligen Sanierungsprojekts. „Das BIM-Modell liefert quasi alle Daten für die industrielle Vorfertigung in smarten Fabriken, so dass erst dadurch eine maßgeschneiderte Serienproduktion möglich wird. Mit den BIM-Daten lassen sich jegliche Fassaden- und Dachelemente unabhängig von der jeweiligen Abmessung oder Befestigungslösung hochautomatisiert herstellen. Dabei können die Fassaden-, Dach- und Haustechnikmodule millimetergenau an das Objekt angepasst werden“, führt Ariane Steffen aus.
Aus der Vorfertigung direkt an den endgültigen Einsatzort
In den fertigen Fassadenelementen sind Dämmung, Außenputz, Holzverkleidung oder andere Oberflächen ebenso integriert wie Fenster und Fenstertüren. Auch TGA-Module lassen sich schon hier in die Fassaden integrieren. Vorgefertigte Energiemodule beinhalten dabei die gesamte Haustechnik: Wärmepumpe, Warmwasserspeicher, Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung sowie die Elektronik für Photovoltaik und Monitoringelemente. Mit Industrie 4.0 sind zudem auch bei Serienfertigung umfangreiche individuelle Anpassungen möglich. Unter Industrie 4.0 ist in diesem Zusammenhang die Vernetzung zwischen der realen und der virtuellen Welt zu verstehen. Digitale Prozesse und Daten verschmelzen in diesem Zusammenhang zum Beispiel mit Fertigungsprozessen. So können Fassaden- und Dachelemente für unterschiedliche Abmessungen und unterschiedliche Befestigungsmechanismen hergestellt werden. Auf der Baustelle wird alles nur noch montiert bzw. angeschlossen. So macht es der durch die Vorfertigung verkürzte Bauprozess sogar möglich, Sanierungen im bewohnten Zustand durchzuführen: Die Lärm- und Staubbelastung sowie Komforteinschränkungen für die Nutzerinnen und Nutzer während der knappen Bauzeit kann auf ein Minimum reduziert werden. Darüber hinaus erlaubt es die digitale Grundstruktur in Planung, Ausführung und Monitoring, die fertiggestellten Projekte weiter zu evaluieren und künftige Projekt auf Basis der qualifizierten Ergebnisse weiter zu optimieren.
Lösungsanbieter
Die Zahl der Lösungsanbieter, die Sanierungskonzepte nach dem Energiesprong-Prinzip entwickeln, erarbeitet haben oder Komponenten dafür anbieten, wächst stetig. Weit über 300 engagierte Akteure – 28 Gesamtlösungsanbieter, 150 Zulieferer, 60 Architektur- und Planungsbüros sowie 50 Wohnungsunternehmen sind auf diesem Gebiet bereits aktiv und haben eine Vielzahl von Projekten abgewickelt.
Vom ersten Projekt zum Achtgeschosser
Das erste Projekt dieser Art markierte das Hamelner Quartier „Kuckuck“ im Jahr 2019. Der aus drei zweistöckigen Gebäuden bestehenden Wohnblock war das erste Mehrfamilienhaus, das hierzulande nach dem Energiesprong-Prinzip saniert wurde. Die Arbeiten übernahm damals Gesamtlösungsanbieter ecosprongs. Mit vorgefertigten Dach-, Fassaden- und Technikelementen hievte er den leerstehenden und stark sanierungsbedürftigen Komplex auf den klimaneutralen NetZero Standard. Mittlerweile wurden in Deutschland über 70 Projekte (Stand Mai 2023) mit insgesamt 3.500 Wohnungen nach dem Energiesprong-Prinzip saniert oder sind im Bau, im Planungsprozess oder vertraglich vereinbart. Laufend kommen neue Projekte dazu. Nach erfolgreich sanierten Mehrfamilienhäusern in Herford, Bochum oder Mönchengladbach wird in rheinländischen Witten derzeit beispielsweide ein beachtenswerter Achtgeschosser in serieller Bauweise nach dem Energiesprong-Prinzip saniert.
Serielle Sanierung im XXL-Format: 6.000 Wohneinheiten in Erlangen
In Erlangen ist gerade eine Sanierung im Großformat im Gang: Bis 2027 will das kommunale Wohnungsunternehmen GEWOBAU Erlangen rund 6.000 Wohneinheiten nach dem Energiesprong-Prinzip seriell sanieren. Das 400 Mio. Euro-Projekt wird zusätzlich mit Fördergeldern des Bundes und des Freistaats Bayern bezuschusst. Daneben setzt die GEWOBAU Erlangen Eigenkapitalersatzmittel der Europäischen Investitionsbank zur Durchführung von Klimaschutzmaßnahmen ein. Vorgesehen ist zudem eine Modernisierungsumlage von maximal 2 Euro je Quadratmeter Wohnfläche, die im Nachgang den Mietzins auch langfristig schlank halten soll.
Vorgefertigte Sanierungselemente im Einsatz
Um die optimale serielle Sanierungslösung für die energetische Modernisierung großer Bestände zu finden, hat die GEWOBAU Erlangen ein Pilotprojekt initiiert. Dieses beinhaltet insgesamt vier Bauabschnitte mit seriell vorgefertigten Fassadenelementen, bei denen Dämmung und Fenster bereits integriert sind. Die Obergeschosse und der Keller werden vor Ort gedämmt, auf den Dächern Photovoltaikmodule zur Eigenenergieerzeugung installiert. Als zentrales Heizsystem sind Erdwärmepumpen vorgesehen, die durch Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung ergänzt und kombiniert werden. Kombiniert werden sie mit sog. „Ground Cubes“: unterirdisch verbauten Betonkuben, in denen die komplette Gebäudetechnik vorinstalliert ist. Dazu kommen fassadenintegrierte Backpacker-Stränge: vorgefertigte Installationsschächte mit sämtlichen Versorgungsleitungen. Auch eine Erneuerung der Bäder und eine teilweise Aufstockung der Gebäude ist vorgesehen.
In vier Bauabschnitten zum Ziel
Der erste Bauabschnitt in dem Erlanger Mammut-Projekt ist mittlerweile abgeschossen. In Erlangen Süd hat der Spezialist für smarte und intelligente Lösungen für die Wohnungswirtschaft Niesberger und Sistems für das Wohnungsunternehmen bereits 475 Wohnungen saniert und ergänzend 135 Wohnungen in Holzmodulbauweise aufgestockt. In einem zweiten Bauabschnitt wird ecoworks, ein Spezialist für die Planung, Konstruktion und Installation von Fassaden- und Dachelementen im Zuge serieller Sanierungen, 276 Wohneinheiten in Erlangen Bruck sanieren und 36 Wohnungen aufstocken. Der Beginn der Bauarbeiten soll noch in diesem Sommer erfolgen. Den dritten Bauabschnitt übernimmt B&O. An der Paul-Gossen-Straße saniert der Spezialist für die Planung und Realisierung von Wohnraum und Vorreiter der seriellen Sanierung 126 Wohnungen an und stockt 38 Wohnungen auf. Im vierten und letzten Bauabschnitt am Anger in Erlangen soll schließlich ein Nahwärmenetz für rund 1.000 Wohnungen aufgebaut werden. Auf Basis der Erfahrungen des Pilotprojekts soll im Anschluss der restliche Bestand saniert werden.
Fazit: ein langfristiger Gewinn für alle Beteiligten
Dank der kosteneffizienten Sanierungsmethode rechnet die Bauherrin GEWOBAU Erlangen mit einer Modernisierungsumlage von nur 2,00 Euro pro Quadratmeter max. für die Mieterinnen und Mieter. Aussagen des ehemaligen GEWOFBAU Erlangen Geschäftsführers Gernot Küchler gehen zudem davon aus, dass die Energiekosteneinsparungen zwischen 4,00 und 5,00 Euro je Quadratmeter betragen werden. Die Bewohnerinnen und Bewohner werden nach Abschluss der Sanierungsarbeiten somit weniger Kosten haben als jetzt. Damit erweist sich der eingeschlagene Sanierungsweg als absoluter Gewinn, für die Wohnanlage, die Bauherrin, Bewohnerinnen und Bewohner – und darüber hinaus für die Umwelt.
16.08.2023