Smart, nachhaltig und menschzentriert: Innovative Quartiersentwicklung am Beispiel des Quartiers Heidestrasse


Im Herzen von Berlin entwickelt die Taurecon Real Estate Consulting GmbH auf rund 85.000 Quadratmetern Fläche das Quartier Heidestrasse. Intelligente Technologien tragen dabei zur Vernetzung der Lebens- und Arbeitswelten im Quartier bei. Im Interview sprachen wir mit Eva Weber, Leiterin Vermietung und Martin Steinfurth, Technische Leitung Digitalisierung, über die vielfältigen Möglichkeiten und technischen Herausforderungen bei der digitalen Quartiersentwicklung.

Die innerstädtische Projektentwicklung bestimmt unsere Städte von heute und morgen. Welche Visionen hat die Taurecon für die innovative Stadt der Zukunft?

Eva Weber: Neben der Digitalisierung und den nachhaltigen Mobilitätskonzepten, die immer wichtiger werden, ist es für uns von Bedeutung, dass der Mensch im Vordergrund der Projektentwicklung steht. Wir bieten daher nicht nur Flächen und Räumlichkeiten an, sondern auch innovative Nutzungskonzepte in Kombination mit ausgeklügelter digitaler Technik, die den Menschen neue Möglichkeiten schaffen, um vor Ort ein komfortables, sicheres und unkompliziertes Leben zu führen. Auch die Variation von Wohnen, Arbeiten, Retail und Gastronomie nimmt für uns im Zuge der Quartiersentwicklung einen hohen Stellenwert ein. Sämtliche Produkte und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs sind somit komfortabel und ohne großes Verkehrsaufkommen vor Ort zu erreichen.

Martin Steinfurth: Dieses bunte Zusammenleben ist uns Berlinern auch als Kiez bekannt. Ein lebenswertes, urbanes Quartier kann im besten Fall auch als Kiez verstanden werden, aus dem sich die Quartiersbewohner nur wenn nötig herausbewegen wollen. Dabei finden sich in Berlin so viele unterschiedliche Menschen und Charaktere wider, dass es unser Ziel ist, mit unseren eigenen Themen, wie einem nachhaltigem Mobilitätskonzept, die vielfältigen Bedürfnisse all dieser Menschen zu berücksichtigen.

Aus Ihren Antworten ist es schon herausgeklungen: Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind wichtige Innovationstreiber. Welche Handlungsräume eröffnen dabei digitale Technologien, um nachhaltige und maßgeschneiderte Quartierskonzepte wie das in der Heidestrasse zu entwickeln?

Eva Weber: Zunächst einmal spielt das Thema Nachhaltigkeit eine sehr große Rolle im Quartier Heidestrasse. Allein schon aus Gesichtspunkten des flexiblen Büro- und Wohnflächenkonzepts: Wir haben große Flächen, kleine Flächen, hohe Flächen, tiefe Flächen – allesamt sind flexibel einsetzbar und können sich mit den Belangen der Mieter ändern. Im Quartier Heidestrasse werden recyclebare oder nachhaltig erzeugte Baustoffe genutzt, teilweise sind Solaranlagen auf den Dächern installiert, viele Dachflächen sind begrünt, die dann wiederum auch für die Mieter zugänglich sind. Für das größte Gebäude können wir auch eine DNGB-Gold Vor-Zertifizierung aufweisen. Mittels Software-Lösungen lassen sich dabei die Erzeugung und der Verbrauch von Strom- und Wärme in den Quartiersgebäuden intelligent steuern. Falls beispielsweise in einem Raum viele Personen zeitgleich zusammensitzen, wird dies vom System erkannt, so dass weniger geheizt und gleichzeitig mehr gelüftet wird.

Martin Steinfurth: Zudem haben wir im Vorfeld Personenströme simuliert, um ein maßgeschneidertes und nachhaltiges Mobilitätskonzept für das Quartier Heidestrasse zu entwickeln. Hierzu mussten wir Parameter wie die zentrale Quartierslage und die relativ hohe Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin berücksichtigen. Dabei zeigte sich in der Simulation, dass wir nach Fertigstellung des Quartiers mit bis zu 15.000 Menschen täglich rechnen müssen, die sich im und um das Quartier Heidestrasse bewegen. Auf Basis der Simulationsergebnisse haben wir dann vielfältige Lösungen wie einen E-Bus Shuttle-Service oder das digitale Parkraummanagement entwickelt, um die motorisierte Fortbewegung im Quartier um ein Vielfaches zu erleichtern.

Wann ist Ihrer Meinung nach ein urbanes Quartier ein „smartes“ bzw. digitales Quartier?

Martin Steinfurth: Digitalisierung hat natürlich unterschiedliche Facetten. Wir wollen ein digitales Quartier möglichst zukunftssicher planen. Das bedeutet zum einen, dass wir als Projektentwicklungsunternehmen bereits in der Planung die Gebäudeinfrastruktur für die digitale Technik berücksichtigen. Wir installieren dann aber auch nicht irgendeine Technik, die man dann an irgendeiner anderen Stelle im Quartier bedienen kann, sondern wir wollen eine ganzheitliche und zentrale Lösung schaffen, die es ermöglicht, dass sämtliche smarte Komponenten gebäudeübergreifend miteinander kommunizieren können. Es geht sicherlich nicht darum, dass alle Wohnungen mit bloßer Smart-Home-Infrastruktur ausgestattet werden. Wesentlicher Punkt ist, dass die IT-Infrastruktur im Quartier derart miteinander verknüpft wird, dass sich daraus auch wiederum enorme Mehrwerte für die Mieter entwickeln können. Sie haben dadurch beispielsweise deutlich effizientere Gebäude, mehr Kontrollmöglichkeiten über die Nebenkosten oder eine optimale Planung der Raumflächen.

Eva Weber: Ein smartes Quartier bedeutet aber auch, dass neben der intelligenten Gebäudevernetzung die Quartiersbewohner smart miteinander interagieren und kommunizieren können. Die Mieter können beispielsweise mittels der Quartiers-App gegenseitig ihre Angebote, Nutzungen und Preise kommunizieren. Zum Beispiel können die Quartiersbewohner mithilfe der App auf dem Smartphone einen Friseurtermin im Quartier vereinbaren, sie können die Nachbarn fragen, ob jemand gerade eine Bohrmaschine zur Hand hat oder online einsehen, ob ein Paket für sie abgegeben wurde. Im Endeffekt sollte ein smartes Quartier dann auch das Leben und Arbeiten der Bewohner möglichst komfortabel gestalten.

Was macht das Quartier Heidestrasse Ihrer Meinung nach zu einem Vorzeigeprojet in der digitalen Quartiersentwicklung?

Martin Steinfurth: Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, wenn das Quartier Heidestrasse fertiggestellt ist, dass es das digitalste Quartier Deutschlands, wenn nicht sogar Europas sein soll. Im Vordergrund steht dabei die quartiersübergreifende Gebäudeleittechnik, das heißt, es gibt eine zentrale Stelle, an der sämtliche Komponenten zentral eingesehen und koordiniert werden können. Über all den Digitalisierungskomponenten steht unser „Quartiers-Brain“. Das „Brain“ ist als zentrale Schaltstelle des Quartiers zu verstehen, welches im Hintergrund sämtliche digitale Vorgänge koordiniert. Das fängt bei relativ simplen Sachen an. Wenn Sie beispielsweise Gewerbeflächen mit Konferenzräumen haben, können Sie die mit der Buchung von Konferenzräumen verbundenen Abläufe ganz einfach über die digitale Infrastruktur automatisieren. Nehmen wir beispielsweise an, Sie möchten einen Besucher in Ihre Gewerbefläche einladen. Mit der Buchung des Besuches im Terminkalender kann die Software hintendran, also das Brain, diese Einladung erkennen und sämtliche weitere, damit verbundene Abläufe automatisiert koordinieren. Falls der Gewerbemieter Tiefgaragenflächen hat, wird automatisch ein Parkrecht an den externen Gast vergeben. Zudem kann dem Besucher ein Grundriss der Gewerbeeinheit zugeschickt werden, so dass dieser sich zum Zielort navigieren lassen kann. Gleichzeitig kann man auf der anderen Seite auch in die Gebäudeleittechnik eingreifen. Das heißt, wenn der Termin mit dem externen Gast um 09.00 Uhr beginnt und eine Außentemperatur von 15 Grad vorherrscht, erkennt die künstliche Intelligenz, dass der Konferenzraum um 09.00 Uhr bestmöglich 20 Grad haben sollte. Folglich wird rechtzeitig der Konferenzraum hochgefahren und beheizt. Zudem kann ich über die Steuerung von Jalousien dafür sorgen, dass die Sonnenenergie den Raum mitaufheizt, so dass nicht nur Heizwärme verwendet werden muss. Dieses „Brain“ verknüpft also alle Digitalisierungskomponenten und sorgt dafür, dass man nicht fünf einzelne Systeme bedienen muss. Sämtliche Abläufe können vom Quartiers-Brain vollautomatisch koordiniert werden, sofern es denn gewünscht ist. Uns ist dabei wichtig zu betonen: Es müssen nicht zwangsläufig alle technischen Features genutzt werden - der Technik sind aber prinzipiell keine Grenzen gesetzt. Und das macht das Quartier Heidestrasse relativ einzigartig.

Eva Weber: Was zudem ganz wichtig ist, und ich glaube das ist bei wenigen Projektentwicklern der Fall, dass wir uns auch primär nach den Nutzerbedürfnissen richten. Das heißt nicht, dass wir keine Rendite erwirtschaften und das heißt auch nicht, dass keine komplexe Kalkulation hinter den ganzen Bauten und Vermietungen steht. Für uns ist es von Bedeutung, dass sich die Menschen in ihrem Quartier wohlfühlen und dass sie dabei nicht mit irgendeiner Technik zugedröhnt werden, nur weil es diese gibt. Vielmehr können digitale Lösungen dazu beitragen, das Leben der Quartiersbewohner zu verbessern. Wir sind aber auch der Meinung, dass wenn man den Kiez Gedanken aufrichtig umsetzen möchte, dann sollte man als Projektentwicklungsunternehmen ein Quartier nicht nur bauen, vermieten, umdrehen und sich dann quasi vom Quartier verabschieden. Wir haben uns dafür entschieden, die gesamten Gebäude des Quartiers Heidestrasse im Bestand zu behalten, die dann auch von uns vor Ort gemanagt werden. Ein innovatives und menschzentriertes Quartiersmanagement ist an dieser Stelle besonders wichtig und zeichnet das Quartier Heidestrasse ebenso aus.

Was ist eine der größten Herausforderungen, welcher Sie sich in der digitalen Quartiersentwicklung gegenübersehen?

Martin Steinfurth: Eine große Herausforderung ist, dass man bei vielen Menschen zunächst einmal ein Grundverständnis für die Potenziale der Digitalisierung wecken muss. Zwar bin ich auch privat als Techie unterwegs, aber ich glaube, das Wort Digitalisierung ist ein viel zu allgemeingültiger Begriff, dessen Bedeutung den wenigsten Menschen verständlich genug ist. Die Digitalisierung kann aber an vielen Stellen alltägliche Prozesse erleichtern. Und hier greifen spezifische digitale Lösungen, die manche Probleme der Menschen beheben können. An dieser Stelle muss man anknüpfen und gemeinsam mit dem Kunden erst einmal ein allgemeingültiges Verständnis dafür schaffen, dass intelligente Technologien genau bei solchen Themen helfen können. 

Eva Weber: Vor allem hat nicht jeder Mieter die Potenziale der Digitalisierung gleich auf dem Schirm. Wenn ich beispielsweise ein Gespräch mit einem Inhaber eines Friseursalons führen würde, der im Quartier Heidestrasse eine kleine Fläche anmieten möchte, der würde mir zunächst die Frage stellen, wieso er denn überhaupt digitalisieren soll. Daraufhin muss man erst die vielfältigen Möglichkeiten aufzeigen wie beispielsweise die Möglichkeit zur Online-Terminvereinbarung mitttels der Quartiers-App. Hier muss zunächst das Interesse für die unterschiedlichen Lösungen beim Kunden geweckt werden. Nicht jeder Kunde ist ein IT-Großunternehmen wie unser Ankermieter SAP, der ganz genau weiß von welchen digitalen Potenzialen wir konkret sprechen.

Um den Quartiersbewohnern auch ein stückweit die Bedenken zu nehmen, spielt die IT-Sicherheit sicherlich auch eine wichtige Rolle. Wie wird das Thema IT-Sicherheit im Quartier Heidestrasse angegangen?

Martin Steinfurth: Das ist ein Punkt, der meiner Meinung nach nicht zu unterschätzen sein sollte. Wir haben uns daher einen externen Partner mit ins Boot geholt. Und für diesen externen Partner haben wir uns nicht ohne Grund entschieden. Das ist ein IT-Sicherheitsunternehmen, das Rechenzentren für Banken baut. Wir gehen im Quartier Heidestrasse also wirklich auf Nummer sicher. Dabei spielen aber auch die Einhaltung von Datenschutzverordnungen und die Datensouveränität der Quartiersbewohner eine wichtige Rolle. Uns ist dabei wichtig: niemand ist dazu verpflichtet, das ganze digitale System zu nutzen und seine Daten offen zu legen.

Was müssen Projektentwickler dann über die technische Seite digitaler Quartiersentwicklung wissen?

Martin Steinfurth: Ich hatte neulich ein Gespräch mit einem Projektentwickler und dieser hat mir genau die gleiche Frage gestellt. Und dem habe ich geantwortet: Kabel, Kabel und nochmals Kabel. Ich persönlich empfinde es äußerst wichtig, vorab eine gewisse Infrastruktur für Datennetze vorzusehen, die es eben erlaubt, frühzeitig zu planen. Man muss sich im Vorhinein über folgendes klar sein: Was möchte ich machen, was möchte ich erreichen und im Zweifelsfall bei unklaren Punkten dann vorab entsprechende Vorkehrungen treffen, die es mir erlauben, gewisse Komponenten nachzurüsten. Ich weiß nicht, wie viele Kilometer Kabel wir pro Gebäude im Quartier Heidestrasse verlegen. Auch werden wir mit Sicherheit nicht jedes Kabel sofort benötigen. Aber früher oder später ist es absehbar, dass wir einzelne Netzwerkleitungen und Infrastrukturlösungen benötigen werden. Und dann sind wir schon so weit, als dass wir dies im Vorhinein bereits bedacht haben.

Eva Weber: Mitplanen ist an dieser Stelle definitiv leichter als nachzurüsten. Das kann ich auch nur unterstreichen.

Welche Empfehlungen haben Sie gegen Ende des Interviews an mittelständische Projektentwickler, die auch ein digitales Quartier entwickeln wollen?

Eva Weber: Rechtzeitig anfangen, und wissen was man will. Genau das, was ich zuvor gesagt habe: rechtzeitige Planung ist wichtiger als nachzurüsten. A) sonst ist es teurer B) ist es größtenteils nicht machbar oder sehr komplex. Je früher ich weiß, was ich entwickeln möchte und die Immobilien so zukunftsträchtig ausrüste, dass diese mitwachsen können, umso besser und günstiger wird es auch.

Martin Steinfurth: Und an der Stelle auch noch ein Punkt, den ich persönlich teile. Das Thema Digitalisierung ist in der Projektentwicklung grundsätzlich noch nicht so stark gewachsen. Gleichzeitig ist es aber wichtig, dass man die IT-Expertise im Hause hat und dieser Expertise dann auch vertraut. Gerade in meinem Bereich sind oft ganz viele Punkte, bei denen ich mehrfach von Projektentwicklern zu hören bekomme, dass dies von der technischen Seite so gar nicht nachvollziehbar sei. Man sollte daher entweder externe Leistungen einkaufen oder die IT-Expertise im Unternehmen haben. Und diese Expertise braucht dann auch einen gewissen Freiraum. In der digitalen Quartiersentwicklung gibt es eine wesentliche Herausforderung: Es ist alles neu, es ist nichts was man bis dato gelernt hat. Und dabei gilt es stets über den Tellerrand hinauszuschauen.

Frau Weber, Herr Steinfurth – Herzlichen Dank für das Interview.


26.11.2020