Die Ingenieurwelt steht an der Schwelle zu einer bedeutenden Veränderung, die durch Fortschritte im Bereich der Expertensysteme und der künstlichen Intelligenz (KI) angestoßen wird. Planer im Bauwesen sehen diese Entwicklung mit einer Mischung aus Euphorie und Vorsicht. Der Artikel von Karthik Rajan zeigt, wie autonome LLM-Agenten (Large Language Model Agents) die Simulationen im Ingenieurwesen in Zukunft verändern könnten. Während wir auch beim Mittelstand Digital Zentrum-Bau bereits viel über den Einsatz von generativer KI und deren Nutzung im Bauwesen gesprochen haben, erfordert das Lösen ingenieurmäßiger Probleme ein Vorgehen, dessen Ergebnisse belastbar und prüfbar sein müssen.
Die Vision, dass KI-Systeme komplexe Probleme durch einfache Konversationen lösen, ist berauschend. Ingenieure könnten bald komplexe Modelle ohne tiefgehende Kenntnisse in einer bestimmten Domäne erstellen und Simulationen durchführen. Dies könnte Barrieren senken und die Produktivität erheblich steigern, was angesichts des Fachkräftemangels durch die demografische Entwicklung in Deutschland und die steigende Sanierungsquote dringend nötig sein wird.
Der Autor des Artikels demonstriert, wie KI-Agenten Modelle für die Festkörpermechanik und Strömungsmechanik erstellen. Er illustriert dies anhand klassischer Beispiele in 2D- und 3D-Finite-Elemente-Analysen (FEA) und der Strömungsmechanik. Dabei zeigt sich, dass die Modelle noch nicht ganz ohne menschliches Eingreifen auskommen. Die Herausforderungen bestehen häufig in „Verständigungsproblemen“, wie sie auch zwischen Menschen vorkommen. Bei einem 3D-Problem musste der Autor sogar von vorne anfangen, da sich die KI „verrannt“ hatte. Alles in allem zeigt der Autor aber eindrucksvoll, dass große Sprachmodelle bereits über ein solides Interpretationsvermögen verfügen um bei der Lösung anspruchsvoller Ingenieuraufgaben zu unterstützen. Kommende Sprachmodelle werden durch das Training mit expliziter Fachliteratur und Wissen aus spezifischen Domänen vermutlich wesentlich besser werden.
Neben der Faszination sollten wir die Herausforderungen nicht vergessen. Eine eventuelle Abhängigkeit von KI-Algorithmen in der Planung könnte dazu führen, dass Ingenieure die Probleme einfacher und daher vielleicht unkritischer lösen. Ein weiteres Thema ist die Genauigkeit der von KI generierten Lösungen. Es ist wichtig, robuste Mechanismen zur Überprüfung der Ergebnisse zu entwickeln, um die Integrität unserer Bauwerke sicherzustellen.
Ein positiver Aspekt der KI ist der Wissenserhalt erfahrener Ingenieure, da ihre Expertise in die Entwicklung und Optimierung von KI-Agenten einfließen kann. Dies könnte den Ingenieuren von morgen die Möglichkeit geben, auf das Wissen aller Ingenieure von gestern und heute zuzugreifen und bessere Entscheidungen zu treffen. Durch den Einsatz von Expertensystemen besteht die Möglichkeit, auf dieses Expertenwissen zuzugreifen und es zu teilen, was auch heute innerhalb mancher Organisationen leider nicht immer der Fall ist. Darüber hinaus könnten Ingenieure durch die Unterstützung von KI-Systemen wieder vermehrt zu Generalisten werden, was der Branche helfen könnte, die Produktivität zu steigern. Oder Experten könnten in ihrem Spezialgebiet noch besser werden, da die Systeme die Betrachtung von Varianten und komplexeren Systemen ermöglichen und eine ganzheitlichere Planung unterstützen.
Die Integration von KI und autonomen Agenten in die Ingenieurspraxis bietet aufregende Möglichkeiten zur Prozessoptimierung und Innovation. Gleichzeitig sollten wir die Technologie kritisch betrachten und sicherstellen, dass wir die Kontrolle über die Qualität und Sicherheit unserer Arbeit behalten und in der Lage sind, die Ergebnisse der KI zu validieren. Wir werden in der näheren Zukunft noch viel in diesem Bereich sehen, entdecken, verwerfen und lernen. Es bleibt eine spannende Zeit für Ingenieure und die gesamte Branche, bei der sich zeigen wird, wie und in welchem Umfang sich die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz in den Alltag der Bauschaffenden integrieren werden.
16.08.2024